Interner Armeebericht: Wir schießen & wir lügen — Weekly Summary, 09.07.2021

Ein Palästinenser schützt sein Haus vor angreifenden Siedlern & Soldat:innen greifen ein & erschießen ihn. Nach 65 Tagen des Hungerns ist Ghadhanfar endlichaus seiner Willkürhaft frei. Erneut fielen Bomben auf Gaza, erneut schossen israelische Soldat:innen auf Farmer in Gaza. Ein pal. Kind erlitt heute einen Milzschuss & wird notoperiert. Vertreibung mit der Bibel: 1500 Menschen im besetzten Silwan sollen Bibelpark “König David” weichen, Siedler unterstrichen das Anliegen mit einem bewaffneten Spaziergang durch das Viertel. Die UN spricht im Hinblick auf die systematische Vertreibung & Hauserstörungen von einem Kriegsverbrechen. Das & mehr: Was in der Woche vom 03.-09.07.2021 im historischen Palästina passierte.

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Westjordanland

Getötet: Der Palästinenser Mohammed Hassan (20) wurde am Samstag, den 03.07., von israelischen Soldat*innen getötet. Die Erschießung ereignete sich, als eine Gruppe von Siedlern mit Begleitschutz der israelischen Armee das Dorf Qusra im Südosten von Nablus angriffen. Der Mann verteidigte sein eigenes Haus mit Steinen vor den Siedlern, die es attackierten. Ein weiterer palästinensischer Zivilist wurde bei diesem Angriff durch scharfe Munition & mehr als 10 Tränengaskanistern verletzt.

Besatzungsalltag: Die israelische Armee fiel 107 Mal in Ortschaften des Westjordanlandes, einschließlich des besetzten Jerusalem, ein. Diese Übergriffe beinhalteten erneut willkürliche Razzien in zivilen Wohnhäusern, Verhaftungen sowie Schießereien der Soldat*innen, die Angst unter der Zivilbevölkerung hervorriefen. Diese Woche wurden hierbei 58 Palästinenser:innen verhaftet, darunter 3 Kinder & 2 Frauen. Unter den Verhafteten sind der Anwalt Fareed Mohammed Al Atrash (44), Direktor der Unabhängigen Kommission für Menschenrechte (ICHR) im südlichen Westjordanland sowie Dr. Shatha ‘Odeh, Generaldirektorin der Health Work Committees (HWC) & Präsidentin des Palestinian NGO Network (PNGO). Die meisten palästinensischen Zivilist:innen wurden bei willkürlichen nächtlichen Razzien pal. Familienhäuser durch die isr. Armee verhaftet. Diese Razzien sind durch exzessive Gewaltanwendung, Verwüstung, Waffeneinsatz, Angriffe auf & Misshandlungen von Zivilisten durch die Soldat*innen gekennzeichnet. Es handelt sich um eine jahrzehntelange Praxis der Besatzung.

Diesem palästinensische Kind wurde heute Abend von israelischen Besatzungssoldat:innen im Süden von Nablus in die Milz geschossen. Es wurde sofort in kritischem Zustand in den Operationssaal des Rafidea Krankenhauses gebracht. Besetztes Westjordanland, 9. Juli 2021
Unter den zahlreichen willkürlich verhafteten Zivilist:innen befindet sich auch Lian Naser, eine Studentin der Bir Zeit Universität. Sie wurde in der Morgendämmerung des 07.07. 2021 von Besatzungssoldat:innen verschleppt

Außerdem stürmte die israelische Armee das Hauptquartier der Union of Agricultural Work Committees (UAWC) in Al Bireh, beschlagnahmte einen Teil ihrer Unterlagen & ordnete die Schließung des Gewerkschaftsquartiers für 6 Monate an.

Die Besatzungsarme errichtete 36 neue temporäre Militärcheckpoints im Westjordanland & verhaftete weitere 9 palästinensische Zivilisten an diesen. Es gibt über 100 permanente Militärcheckpoints, die die Bewegungsfreiheit von Palästinenser:innen massiv einschränken. Israelis sind von diesen Checkpoints nicht betroffen.

Palästinenser:innen setzten überall im Westjordanland ihre wöchentlichen Demonstrationen gegen Besatzung, Landraub & Siedlungsbau fort. Die israelische Armee beantwortete diese Proteste erneut mit massiver Gewalt, was zu Zusammenstößen zwischen Demonstrant*innen & Besatzungskräften sowie zahlreichen verletzten Protestierenden führte. Vor allem in Beita werden die Proteste gegen eine neue illegale Siedlung weiterhin mit Gewalt beantwortet — nichtsdestotrotz hat der wochenlange Dauer-Protest jedoch Erfolg, die Siedler:innen mussten die Siedlung mittlerweile verlassen. Darüber hinaus halten die Massenproteste gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) weiter an. Sie brachen nach der Ermordung des politischen Aktivisten Nizar Banats durch Sicherheitskräfte der PA aus & werden nun von der PA mit Gewalt & israelischer Unterstützung gewaltsam unterdrückt.

Interner Bericht des israelischen Sicherheitsdienstes: Die Armee lügt, um Verbrechen zu decken: Ein Siedler schoss vorletzte Woche einen Palästinenser an. Die israelische Armee behauptete, das Opfer habe einen Angriff versucht & sich der Festnahme widersetzt. Israelische Medien behaupteten, er sei bewaffnet gewesen. Die israelische Zeitung Haaretz konnte den Bericht einer internen Untersuchung der israelischen Sicherheitsbehörde erhalten, der den Behauptungen der Armee widerspricht: Der Bericht besagt, dass der angeschossene Mann keine Gefahr darstellte & die Militärs vor Ort dem Siedler (Sicherheitskoordinator der Siedlung Yitzar) sagten, er solle nicht schießen. Er hat ihn trotzdem angeschossen — der anschließende Bericht der Armee war eine platte Lüge zur Vertuschung. Die in der Untersuchung befragten Soldat:innen betonten, dass der Armeebericht nicht der Wahrheit entspreche.

Politische Gefangene

Ghadhanfar Abu Atwan (28) konnte am 65. Tag seines Hungerstreiks & am 5. Tag des zusätzlichen Verweigerns von Trinken seine Freiheit erringen. Er befand sich in Administrativhaft, das heißt Willkürhaft ohne Nennung von Beweisen, Anklage oder Gerichtsurteil. Sie ist beliebig oft ohne Nennung von Gründen verlängerbar. Das Rote Kreuz gab 2 Tage vor seiner Freilassung eine Erklärung zu seinem Gesundheitszustand ab, was selten vorkommt: Sie warnten eindringlich vor der dramatischen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Daraufhin begannen 19 weitere Gefangene noch am selben Tag einen offenen Hungerstreik in Solidarität mit Ghadhanfar, was der Grund für seine Freilassung am gleichen Tag sein könnte. Zwei weitere Palästinenser befinden sich derzeit im Hungerstreik gegen ihre Administrativhaft: Jamal Al Tawil (selber in Haft hungert er für die Freiheit seiner Tochter) & Bassam Jaber. Ein Hungerstreik ist nicht nur mit enormen körperlichen Schmerzen, sondern auch dem Risiko permamenter Gesundheitsschäden sowie einem tödlichen Ausgang verbunden. Der Körper ist das einzige Mittel, was den Gefangenen bleibt, um sich gegen die Besatzungswillkür zu wehren.

Freiluftgefängnis Gaza

Der Gazastreifen leidet immer noch unter der Totalblockade der israelischen Besatzung. Die totale Abriegelung hält nun das 15. Jahr in Folge an, ohne jegliche Verbesserung des Personen- & Warenverkehrs, der humanitären Bedingungen & mit katastrophalen Auswirkungen auf alle Aspekte des Lebens. Die Menschen dürfen ohne israelische Genehmigung weder ein- noch ausreisen, es darf nicht exportiert werden, importiert werden darf nur wenig, die Resultate sind Massenarbeitslosigkeit, ein kollabiertes Gesundheitswesen & Lebensmittelknappheit. Seit der militärischen Aggression Israels gegen den Gazastreifen im Mai 2021 hat Israel die Beschränkungen für die Einfuhr von Gütern & Rohstoffen sowie die Beschränkungen für die Bewegungsfreiheit von Personen verstärkt.

Weltbank — Gaza benötig Soforthilfe von 500 Millionen Euro: Gaza benötigt allein für die Schäden des 11-tägigen israelischen Angriffs im Mai rund eine halbe Milliarde Dollar, so die Weltbank. Die direkten Schäden belaufen sich auf ca. 280 Millionen Dollar, die wirtschaftlichen Verluste (Einstellung der wirtschaftlichen Aktivitäten) auf ca. 190 Millionen Dollar.

Trotz Waffenruhe erneut Bombardierung der Küstenenklave, Übergriffe & Schüsse auf Zivilisten: Im Gazastreifen wurden ein Mann & eine Frau verletzt, nachdem die Luftwaffe den nördlichen Gazastreifen mit Bomben angegriff. Laut Israel sollen diese Luftangriffe eine Antwort auf Brandballone aus Gaza gen Israel sein — Kinderballone, mit denen Felder in Israel in Brand gesetzt werden.

Außerdem wurden 3 Mal Farmer:innen in Gaza von der israelischen beschossen. Darüber hinaus drang diese zwei Mal in Gaza ein: Armee-Baufahrzeuge ebneten Ländereien ein, die zuvor von der Besatzungsarmee dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Israel

Israels Oberstes Gericht: Nicht alle Bürger sind gleich: Das israelische Parlament hat vor 3 Jahren das Nationalstaatsgesetz verabschiedet, das ausschließlich jüdischen Staatsbürger*innen das Selbstbestimmungsrecht in Israel gibt, ohne die einheimische palästinensische Bevölkerung mit israelischen Pässen zu berücksichtigen, die 20% der Bürger:innen Israels ausmachen. Die vertriebenen sowie staatenlosen Palästinenser:innen Gazas & des Westjordanlandes werden erst Recht nicht berücksichtigt. Weitere problematische Klauseln waren u.a. die Abstufung der arabischen Sprache, die zuvor eine Amtssprache war, sowie die Benennung von Bau & Konsolidierung jüdischer Siedlungen als ein Kernwert des Staates.
Das oberste israelische Gericht befand am Donnerstag, das Gesetz sei legitim, stehe im Einklang mit den Werten des Staates & diskriminiere niemanden. Die Entscheidung fiel mit einer Mehrheit von zehn Richters zu einem. Derjenige Richter, der das Gesetz verworfen hat, ist ein arabischer Staatsbürger.

Um Al-Fahm solidarisch mit Jerusalem: Hunderte von Palästinenser:innen in Umm Al Fahm organisierten eine Demonstration in Solidarität mit ihren Geschwistern in Jerusalem, die von Vertreibung bedroht sind.

Systematische Vertreibung

Israel zerstörte dieses Jahr bisher 421 pal. Häuser, die UN spricht von einem Kriesgsverbrechen

Das Haus der Familie Abu Ghannam in Silwan, Jerusalem, wurde diese Woche abgerissen. Es wird nicht das letzte sein — Silwan soll einem Bibelpark weichen, die Bewohner:innen zu Gunsten “König David”, wie der Park heißen soll, in die Obdachlosigkeit gehen

Die Vereinten Nationen erklärten, dass die Besatzungsbehörden seit Beginn dieses Jahres mindestens 421 Gebäude im Besitz von Palästinenser:innen abgerissen haben. 130 dieser zerstörten Gebäude wurden von internationalen Gebern/Hilfsprojekten finanziert.
Der Bericht fügte hinzu, dass die Abrisse “zur Vertreibung von 592 Menschen, darunter etwa 320 Kinder, im gesamten Westjordanland geführt haben […] Die großflächige Zerstörung von Eigentum stellt einen schweren Verstoß gegen die Vierte Genfer Konvention dar und kann einem Kriegsverbrechen gleichkommen”.

In Jerusalem wurden 4 Häuser, eine im Bau befindliche Schule, ein Lagerhaus & eine Kaserne abgerissen. Ein vierstöckigen Wohnhauses folgt bald. Am Donnerstag meldeten die israelischen Besatzungsbehörden den Abrissbefehl für das vierstöckige Wohnhauses im besetzten Jerusalem & gaben den Bewohnern 2 Wochen Zeit zur Evakuierung. Den 55 Einwohner:innen des 2003 gebauten Gebäudes droht die Obdachlosigkeit.
Am Dienstag zerstörten Bulldozer in Begleitung von Dutzenden von Infanteriekräften eine im Bau befindliche Schule im Nordosten des Jerusalem unter dem Vorwand eines nicht genehmigten Baus. Das dreistöckige Schulgebäude sollte zu Beginn des neuen Schuljahres Hunderte von palästinensischen Schüler:innen aufnehmen. Dieses wurde anstelle des alten errichtet, das im März 2019 von der israelische Armee abgerissen wurde. Der Besitzer der Schule sagt, dass er versucht hat, eine Baulizenz für die Schule zu erhalten, aber die israelische Gemeinde verweigerte sie immer wieder.

Über 200 israelische Siedler brachen am Dienstag in das Viertel Batn Al Hawa in Silwan im besetzten Jerusalem ein & griffen die Bewohner:innen an. Sie sollen zu Gunsten eines Bibelparks namens “König David” vertrieben & in die Obdachlosigkeit geschickt werden. Unter dem Schutz von Besatzungssoldat:innen drangen mehr als 200 israelische extremistische Siedler, darunter auch Bewaffnete, in das Viertel ein, provozierten & griffen die Bewohner des Viertels an.

Haussprengung in Ramallah — Washigton empört: Die israelische Besatzungsarmee hat das Haus der Familie des Gefangenen Muntasser Shibli gesprengt. Munstasser, der einen ameriskanischen Pass besitzt, hat im letzten Mai einen Siedler getötet. Dafür sitzt er nicht nur im Gefängnis, sondern seine gesamte Familie wird dafür nun mit Obdachosigkeit bestraft — eine solche Kollektivstrafe wird ausschließlich gegen Palästinenser:innen verhängt. Washington hat & das zum ersten Mal, die Zerstörung der Häuser von verurteilten Paläsetinenser:innen verurteilt.

Ganzes Dorf im Westjordanland vor Zerstörung: In einem ähnlichen Zusammenhang hat die Besatzungspolizei am heutigen Donnerstag die Bewohner:innen des Dorfes Humseh Al Fouqa im nordöstlichen Westjordanland aufgefordert, ihr Dorf sofort zu räumen & ihnen gedroht, sie andernfalls zu verhaften. Die israelische Armee hat einen militärischen Kordon über das Dorf verhängt & es einfach zu einer geschlossenen Militärzone erklärt. Laut palästinensischen Beamten haben haben die Bewohner:innen seit gestern keine Habseligkeiten mehr, sogar ihre Kleidung wurde von den israelischen Streitkräften beschlagnahmt. Humsa Al Fouqa ist eines von 38 Beduinendörfern, die teilweise oder ganz innerhalb eines Feldes liegen, das von Israel zum militärischen Schießplatz erklärt wurde.

Ein palästinensisches Dorf in Südisrael soll verschwinden: Auch ein israelischer Pass schützt Palästinenser*innen nicht vor Vertreibung. Al Araqeeb ist ein palästinensisches Dorf, das älter ist als Israel & trotzdem von den Behörden nicht anerkannt wird. Das Dorf im Süden Israels wurde diese Woche zum 190. Mal zestört. Israel versucht seit Jahrzehnten, seine palästinensischen Staatsbürger*innen aus dem Gebiet des Naqab/Negev zu vertreiben.

Auch palästinesische Familien in Jaffa, Israel, sollen gehen: Dutzende palästinensische Aktivist:innen in Jaffa demonstrierten unter dem Motto “Jaffa ist nicht zu verkaufen”, um gegen die israelische Politik zu protestieren, palästinensische Familien aus ihren Häusern in der Stadt zu evakuieren, was ihrer Meinung nach dazu dient, den mehrheitlich palästinensisch-arabischen Teil der Stadt aufzulösen.

Siedlungsausbau: Siedler beschlagnahmten diese Woche 20.000 m² palästinensischen Landes südlich von Nablus. Darüber hinaus hat die israelische Besatzungsarmee palästinensischen Farmer:innen den Weg zu einem 600.000 m² Feld neben Nablus blockiert, den illegalen Siedler:innen jedoch hat die Armee das Betreten des Feldes erlaubt, was den Beginn einer neuen Siedlung darstellen kann. Im besetzten Salfit wurde ein Siedlungserweiterungsprogramm bekannt gemacht, das die Beschlagnahmung von mindestens 8.500.000 m² beinhaltet.

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