Am 30.01.2024 fand in Ilmenau, Thüringen, unter dem Motto „Ilmenau Zusammen“ eine großartige Demonstration gegen Rassismus statt. Aus diskriminierenden Gründen waren wir als Unterstützer:innen jedoch unerwünscht. „Ilmenau Zusammen“ grenzte Palästinenser:innen aus.
Hintergrund
Wir waren vom Aufruf zur Demonstration „Ilmenau Zusammen“ begeistert und wollten unsere Unterstützung ausdrücken. Wir kontaktierten die Organisatoren im Namen des Vereins „Kulturbrücke Palästina Thüringen e.V.“, um unser Logo denen anderer Akteure, Vereine und Firmen hinzuzufügen, die so auf der Kampagnen-Webseite ihre Unterstützung zeigten. Die Antwort von „Ilmenau Zusammen“ fiel jedoch negativ aus, da sich der Hauptsitz der Kulturbrücke in Weimar befinde, könne unser Logo nicht hinzugefügt werden – man suche nur lokale Unterstützung direkt vor Ort. Höflich wiesen wir darauf hin, dass Ilmenau in Thüringen liegt und wir auch in Ilmenau aktiv sind. Gleichzeitig baten wir, das Logo der Lokalgruppe „Palästinensische Stimme Ilmenau“ (PSI) aufzunehmen. Hier wurden wir zunächst 9 Tage lang ignoriert, um anschließend ebenfalls ausgeschlossen zu werden. Die Gründe dafür können nur als purer Rassismus betrachtet werden.
Laut schriftlicher Aussage von „Ilmenau Zusammen“ gäbe es zwar nichts schlechtes über PSI zu sagen, man müsse uns aber trotzdem ausschließen, denn durch unsere Präsenz als Palästinenser:innen würde „der Eindruck von Parteilichkeit in diesem Fall von außen ganz automatisch entstehen“. Heißt, palästinensische Unterstützer:innen sind, allein weil sie Palästinenser sind, bei einem vermeintlich antirassistischen Aufruf unerwünscht. Unsere Identität ist ein Problem.
Der schriftlichen Absage wurde noch hinzugefügt, dass unsere politischen Positionen nicht bekannt seien. Also selbst wenn wir Palästinenser:innen gar nichts sagen, müssen wir zuerst eine Gesinnungsprüfung absolvieren. Die weiteren vom Orga-Team genannten Gründe sind aus unserer Sicht deswegen nur vorgeschoben und somit irrelevant.
Position
Wir möchten betonen, dass wir überwältigt sind von der großen Anzahl der Teilnehmer:innen und den breiten Bündnissen innerhalb der Initiative „Ilmenau Zusammen“. Jedoch hat uns die Entscheidung, unsere palästinensische Gruppe abzulehnen, tief getroffen. In einem Kontext, der sich dem Ziel verschrieben hat, Rassismus in all seinen Formen zu bekämpfen, ist es bedauerlich, dass wir aufgrund unserer palästinensischen Identität ausgeschlossen wurden. Ein solches Vorgehen wirft Zweifel an der Integrität des Anti-Rassismus-Aufrufs auf, stellt einen Widerspruch zu den Grundsätzen von Inklusion und Diversität dar. Während wir als Palästinenser:innen den „Eindruck von Parteilichkeit“ erwecken würden, wird jedoch die Unterstützung des Ilmenauer Aufrufs durch politische Parteien gerne angezeigt, ungeachtet dessen, dass manche dieser seit Jahren regelmäßig durch rassistische Aussagen ihrer Vorsitzenden, Abschiebungspolitik, Schleifung des Asylrechts oder Waffenlieferungen in Krisengebiete auffallen.
Rassismus und Antipalästinensischer Rassismus
Wir Palästinenser:innen erfahren seit Jahren, auch in Ilmenau, Anfeindungen, weil wir Migrant:innen, Flüchtlinge, Araber:innen und oft Muslime sind. Wir gehören zu denjenigen, deren Abschiebung kürzlich in Potsdam von Rechten und Rechtsradikalen, darunter ein Ilmenauer IT-Unternehmer, diskutiert wurde. Rassismus geht über Beschimpfungen, körperliche Gewalt und Remigrationsphantasien hinaus und umfasst weitere Aspekte wie Generalverdacht, Marginalisierung, Silencing und Ausgrenzung. Und genau hier kommt der Rassismus der Organisator:innen von „Ilmenau Zusammen“ ins Spiel.
Denn wir erfahren in Deutschland, dass unser Eintreten für ein Ende der Besatzung Palästinas durch Israel und für eine friedliche und gerechte Lösung für alle Menschen in unserer Heimat fast automatisch als antisemitisch delegitimiert wird. Allein das Wort Palästina im Namen eines Vereins zu tragen, bedeutet sofort Generalverdacht auf Antisemitismus.
Leider Steht Ilmenau nicht zusammen
Besonders bedrückend sind die beschriebenen Vorgänge im Kontext des aktuellen Genozids im Gazastreifen. Erst vor wenigen Wochen konnte ein ehemaliger Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Ilmenau mit seiner Frau und seinen im Ilm-Kreis geborenen Kindern der Hölle von Gaza entkommen. Mehrere von uns haben gerade Familienmitglieder verloren und fürchten um die, die noch leben. Gaza ist also ein Problem, dass auch Ilmenauer:innen direkt berührt – vorausgesetzt, man versteht Palästinenser:innen als legitimen Teil dieser Stadt.
„Ilmenau Zusammen“ distanziert sich bewusst von diesen Ilmenauer:innen, um „nicht den Anschein von Parteilichkeit zu erwecken [….] damit sich alle auf das Kernthema einigen und es mittragen können.“ Wir als von Rassismus und Islamophobie betroffene sind nicht Teil des Kernthemas eines vermeintlich antirassistischen Aufrufs? Das „Nie wieder“ und „Menschen schützen“ im Appell der Organisator:innen schließt offensichtlich Ilmenauer:innen mit einem palästinensischen Hintergrund aus, die gerade Rassismus und Genozid erfahren. Das ist ein unerträglicher Schlag ins Gesicht.
Im Übrigen hielt es „Ilmenau Zusammen“ nicht einmal für nötig, in Ihrem Antwortschreiben an irgendeiner Stelle nach unserem Befinden und dem unserer Familien zu fragen.
Kein Gespräch mit uns
Die Ablehnung erfolgte, ohne mit uns ein einziges Mal zu sprechen und eventuelle Unklarheiten aufzuklären.
Wir haben uns bisher stets stark im Bereich Kultur, Integration, interreligiöser Dialog engagiert und sind mit vielen Dachorganisationen wie MigraNetz, DamOst u.a. eng verbunden. Wir nehmen aktiv an Veranstaltungen von Ministerien, Kirchen, Moscheen und Migrantenorganisationen teil und sind immer willkommene und geschätzte Teilnehmer:innen. Außer für „Ilmenau Zusammen“. Wir sind enttäuscht und fordern einen ehrlichen und menschenwürdigen Umgang mit uns.
Einladung zum Austausch
Es ist unsere Hoffnung, dass wir gemeinsam eine Welt schaffen können, in der Vielfalt geschätzt wird und Gerechtigkeit für alle im Mittelpunkt steht. Wir sind weiterhin bereit, an einem offenen und ehrlichen Dialog teilzunehmen, um Vorurteile zu überwinden und eine effektive Zusammenarbeit im Kampf gegen Rassismus zu fördern.
In diesem Zusammenhang laden wir Sie, die Organistaor:innen von Ilmenau Zusammen, herzlich dazu ein, Ihr Verhalten, Ihre Diskriminierung und Vorurteile zu reflektieren und kritisieren. Wenn jemand aufgrund seiner Herkunft von einem antirassistischen Aufruf ausgeschlossen wird, haben wir alle wirklich ein großes Problem.